Autorin:
Dr. Jutta Witte
Digitalisierung auf dem Prüfstand: Empowerment und Beteiligung in der agilen Arbeitswelt
Dokumentation der ersten Konferenz des Projektes „Empowerment in der digitalen Arbeitswelt“ vom 10. April 2018 in München
Welche Bedeutung soll der Mensch in der digitalen Arbeitswelt haben. Und wie können wir sie in seinem Sinne gestalten? „Wie wir als Gesellschaft diese Fragen in den nächsten 20 bis 30 Jahren beantworten, wird wesentlich über den Erfolg bei der Bewältigung des digitalen Umbruchs entscheiden“, betonte Prof. Dr. Andreas Boes, Leiter des EdA-Forschungsverbundes, zum Auftakt der ersten Konferenz des Verbundprojektes. „Deswegen ist das Thema dieser Veranstaltung von großer Brisanz“.
Entsprechend groß war das Interesse an der Konferenz: Über 200 interessierte Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen, Politik und Medien meldeten sich zu der Veranstaltung am 10. April 2018 in der Gaszählerwerkstatt in München an. Unter der Moderation von Dr. Kira Marrs konnten sie sich über aktuelle Trends und Forschungsergebnisse aus der agilen Arbeitswelt informieren und über die Bedeutung von Empowerment als Schlüssel einer erfolgreichen Gestaltung der digitalen Transformation diskutieren.
Dr. Wolfgang Fassnacht, Senior Vice President, HR, SAP SE, erläuterte in seiner Keynote die Transformationsstrategie der SAP und die zentralen Stellschrauben für ein zukunftsfähiges Personalmanagement. Über entscheidende Handlungsfelder zur Gestaltung der digitalen Zukunft diskutierten Marc Stoffel, elected CEO der haufe-umantis AG, und Dr. Andrea Fehrmann von der IG Metall, Bezirksleitung Bayern. Thomas Lühr, Wissenschaftler am ISF München, stellte im Rahmen seines Vortrags „Empowerment als Schlüssel der agilen Arbeitswelt“ die neuesten Forschungsergebnisse des Verbundprojekts vor. In einer abschließenden Reflexion setzte sich Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, mit den gesamtgesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung auseinander.
Die Konferenz bot Raum für eine aktive Mitgestaltung durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und für einen hochkarätigen interdisziplinären Austausch zu einem der wichtigsten Themen, die derzeit unsere Gesellschaft bewegen. Diese Dokumentation hält die zentralen Ergebnisse fest.
Digital und agil – Herausforderungen für Human Ressources
Keynote von Dr. Wolfgang Fassnacht, SAP SE
Eine moderne Unternehmensleitung und Personalpolitik muss sich nach Überzeugung von Dr. Wolfgang Fassnacht daran messen lassen, ob sie sinnhafte Arbeit fördert, Menschen durch Empowerment zu Innovationen befähigt, ob sie mit einem agilen Setting Raum für Experimente schafft und nicht zuletzt, ob sie für Transparenz über die relevanten Daten sorgt, die das Unternehmen steuern. Um dem Rechnung zu tragen setzt die SAP auf Führung, die statt von „Command and Control“ von Wertschätzung und Coaching getragen wird: „Es gibt keinen Grund für Misstrauen, es gibt jeden Grund für 100 Prozent Vertrauen“, betont der HR-Experte. Dialogorientiertes Leistungsmanagement, in den Arbeitsalltag eingebettetes gemeinsames Lernen, agile Organisationsformen, eine offene Kultur und der Zugang zu Daten als Basis für Entscheidungen sind weitere Ankerpunkte von „HR 4.0“.
Wie wollen wir die agile Arbeitswelt gestalten?
Mitbestimmung und New Work im Dialog
Im Diskurs um New Work und in der Programmatik der Gewerkschaften spielt Empowerment eine gleichermaßen wichtige Rolle. Auf die Frage von Moderatorin Dr. Kira Marrs, ob der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Welt stehe, zeigten sich Dr. Andrea Fehrmann und Marc Stoffel jedoch eher skeptisch. Während Fehrmann vor allem politische Visionen für eine menschengerechte Technikgestaltung vermisst, sieht Stoffel ein wesentliches Problem in der mangelnden Experimentierfreudigkeit von Unternehmen. Im Rahmen eines Dialoges erläuterten beide die aus ihrer Sicht entscheidenden Handlungsfelder für eine nachhaltige Beteiligung des Menschen an der Gestaltung der digitalen Zukunft: Neben der Förderung von breit gefächerten Schlüsselkompetenzen wie Kreativität, Offenheit für Neues und einer umfassenden Bildung brauche es eine neue Kultur der Partizipation und Selbstorganisation, Schutzräume für Innovationen, Mut für Experimente, neue Führungskonzepte und agile Karrierewege.
Empowerment als Schlüssel für die digitale Arbeitswelt
Input aus der Forschung
In den Unternehmen setzt sich zunehmend die „agile Organisation“ als neue Leitorientierung durch. Damit entstehen nach Überzeugung von Thomas Lühr neue Chancen, um den Menschen in den Mittelpunkt der digitalen Arbeitswelt zu stellen. „Dies gelingt allerdings nur, wenn wir die Menschen empowern, also in die Lage versetzen, ihren Arbeitsprozess selbst zu kontrollieren“, betont der Soziologe. Ohne Empowerment könne Agilität nicht gelebt werden, entstünden statt nachhaltiger Arbeitsweisen neue Belastungssituationen bis hin zu dem Gefühl, „an einem digitalen Fließband zu stehen.“ Die Entwicklung agiler Führungskonzepte ist für Lühr die zentrale Stellschraube zur Durchsetzung eines ernst gemeinten Empowerments, das über einzelne Unternehmen hinaus den Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt insgesamt einläuten könne.
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
Werkstätten: Empowerment in der Praxis
Hinter dem Projekt EdA steht ein starker interdisziplinärer Forschungsverbund, der die Komplexität des digitalen Umbruchs vermessen und hierbei die Potenziale und Chancen der Digitalisierung für eine menschengerechte Arbeitswelt aufzeigen möchte. Hierbei nehmen die Verbundpartner sieben zentrale Gestaltungsfelder in den Blick und untersuchen sie mit Blick auf ihre Verwirklichungsmöglichkeiten für Empowerment: „Agile Organisationskonzepte“, „Führung in der digitalen Arbeitswelt“, „Gesundheit & Nachhaltigkeit“, „CrowdWork“, „Zeitsouveränität“, „Agile Softwareentwicklung“ und „Partizipation & Mitbestimmung“. Im Rahmen der Konferenz haben sie in interaktiven Werkstätten gezeigt, was Agilität und Empowerment in der Praxis bedeuten und gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Ideen und Ansatzpunkte für die Gestaltung des digitalen Umbruchs entwickelt.
Überblick über die Werkstätten
Katrin Gül, ISF München
- Wie entwickeln sich agile Teams in der Praxis?
- Was sind die Erfolgsfaktoren für das Empowerment agiler Teams?
- Welche Konzepte von Führung brauchen wir in der agilen Organisation?
Dr. Christoph Peters, Universität Kassel
- Welche digitalen und agilen Arbeitsorganisationsformen werden in der Praxis genutzt?
- Wie können digitale und agile Arbeitsorganisationsformen implementiert werden?
- Wie führen digitale und agile Arbeitsorganisationsformen zu mehr Empowerment der Mitarbeiter?
Nesrin Gül, IG Metall
- Welchen Einfluss hat Digitalisierung auf Zeitsouveränität? (Bestandsaufnahme der betrieblichen Realität)
- Welche individuellen und betrieblichen Bedingungen für eine effektive und qualitative Arbeitszeit braucht es?
- Welche betrieblichen Handlungsspielräume zu zeitlich selbstbestimmtem Handeln sind vorhanden? Welche müssen ausgeweitet oder geschaffen werden?
Daniel Knapp, andrena objects ag
- Warum erlangen wir durch Agilität strategische Wettbewerbsvorteile im Umfeld der Digitalisierung?
- Warum ist Agilität im Kontext sich permanent verändernder Markterfordernisse unerlässlich?
- Was bedeuten agile Organisationskonzepte und Arbeitsweisen für die Menschen und Teams in Unternehmen
Ralf Mattes, Audi AG
- Auf welchem Spielfeld der Mitbestimmung/Arbeitsbeziehungen spielen Sie im Unternehmen derzeit?
- Auf welchem Spielfeld wird Ihr Unternehmen eventuell im Jahr 2025 spielen?
- Welche Bedeutung kommt in dieser Entwicklung Empowerment und Selbstorganisation zu?
Vom Menschen her denken: Gesellschaftliche Herausforderungen des digitalen Umbruchs
Keynote von Kardinal Reinhard Marx
Für Kardinal Reinhard Marx geht es bei der Frage der Digitalisierung nicht nur um Ökonomie und Wachstum, sondern auch um die Zukunft der Demokratie und der Freiheit. Deswegen dürfe man die Entwicklung nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, sondern müsse gestaltend eingreifen. Marx plädiert für das Commitment: „Wir können etwas tun und wir werden etwas tun“. Ziel sei es, die Digitalisierung zu einem Instrument der größeren Freiheit und der größeren Möglichkeiten für den Menschen zu machen, nicht zu einer Entwicklung, die zu größeren Spaltungen führe. Die verantwortungsvolle Gestaltung von Arbeit, dem „Rückgrat der freien Gesellschaft“, gehört für ihn in diesem Diskurs zu den wichtigsten Herausforderungen. Arbeit dürfe auch im digitalen Zeitalter nicht sinnlos und wertlos sein, weil sie aufs engste verbunden sei mit der Würde des Menschen.